Günther Esterer – Maler im Weinviertel

Ich wage die Behauptung, dass keine Region so sehr in ihrer Identität vom Schaffen ihrer Künstler geprägt,ja beeinflusst wurde und nach wie vor wird, wie unser Weinviertel. Jene Künstler, die sich vor etwa 40 Jahren in der Aktion M mit ihren Protagonisten Peter Kenyeres, Ferdinand Altmann, Anton Gössinger und Dr. Manfred Jasser zusammenfanden, erkannten den einzigartigen Wert der Kellergassen.
Den Weinviertlern wurde der Wert dieses weltweit solitären Ensembles erst über die wunderbaren Arbeiten von Malern, Fotografen, Lyrikern und Schriftstellern vermittelt.
Es sind die Fotografien eines Peter Kenyeres, Rudi Weiß und Ferdinand Altmann, die Collagen, Holzschnitte, Öl- und Acrylbilder der weit über das Weinviertel hinaus anerkannten Künstler Prof. Franz Kaindl, Heribert Potuznik, Gottfried Laf Wurm, Hermann Bauch, Franz Rauscher, Wolfgang Krebs und eben Günther Esterer, die epischen und lyrischen Arbeiten eines Theodor Kramer, Alois Vogel, Willi Keller, Anton Th. Dietmaier, Helmut Pacholik u.a., veröffentlicht in der Schriftenreihe „Das Weinviertel“, an deren sehr professionellen Umsetzung die Mistelbacher Druckerei Riedel mit ihrem Grafiker und Schriftsetzer Günther Esterer verantwortlich zeichnete, die diese neuartige Werthaltung vermitteln. Mit der damit verbundenen regen Ausstellungstätigkeit kam es zu einem breit angelegten Diskussionsprozess mit geradezu unglaublicher, tief in die Bevölkerungsschichten implementierten Bewusstseinsbildung, die sich in besonderer Wertschätzung der Kellergassen und der Weinviertler Landschaft insgesamt nach wie vor ausdrückt.

Selbst die wahrzeichen hier
Wollen nicht hoch hinaus
Selbst die wunden
Die die zeit schlug
Finden hier noch bew-wund-erer
Und wer hier
Unter die erde kommt
Lebt erst richtig auf

Rudi Weiß

In geradezu wunderbarer Weise verwirklicht sich die Aufgabe der Künstler „zu künden“. Die Kellergassen haben die Distanz vom Ölbild im elitären Ausstellungsraum mitten ins Leben der Menschen überwunden. Aufwendig werden sie renoviert, im historischen Stil erhalten und liebevoll gepflegt. Viele Keller sind in Gebrauch und vieles ihrer ursprünglichen Funktion auch als Kommunikationsstätte ist wieder in die Dörfer zurückgekehrt: Kellergassenfeste, private Feiern, Familienzusammenkünfte, Wanderwege und Radrouten führen durch Kellergassen, wo Labestationen organisiert werden oder die Kellergassen einfach zum Fotografieren einladen. Die völlig vom Verfall bedrohten oder beginnend zweckentfremdet verbauten Kellergassen sind ins Zentrum des Interesses der Weinviertler Öffentlichkeit gerückt und erfreuen sich heute im Weinviertel identitätsstiftender Beliebtheit. Günther Esterer hat in mehrfacher Hinsicht besonders hohen Anteil an dieser Weinviertler Erfolgsgeschichte:
Esterer als Maler
Esterer als Lehrer und Kunstvermittler
Esterer als Gestalter und Begleiter Mistelbacher Kulturaktivitäten

Der Maler Günther Esterer

Er streichelt und liebkost die Weinviertler Landschaft durch zarte, nuancierte Linienführung, er zürnt und hadert ihr in seinen groben und kratzigen Strichen der Monotypien. Er schmückt sie in zarten Pastelltönen und schminkt sie in grellem Blau und Rot. Frühlingshafte Lebendigkeit in mutig abstrakten Collagen wechseln mit herbstlichem Tod in Schwarz und Braun. An eine schützende Decke erinnernd legt er unschuldig strahlendes Weiß aufs Feld der Winterlandschaft. Aufgeregt zornig schneidet er Ritzen und scharfe Kanten einer uns unsensibel angeeigneten Landschaft ins Holz seiner Druckgrafik. Wie Plätze pflasternd verlegt er farbenprächtige Papierstreifen in sein Aquarellbett zu aussagekräftigen Collagen. Sanft trägt er Pinselschwünge mit zarter Farbe auf das Blatt und das weite Land des Weinviertels wird immer wieder neu geschaffen. Weiß bleibende Flächen in tiefen Furchen unterbrochen vom andeutenden Grün der sommerlichen Nussbäume zeugen von unseren einzigartigen Kellergassen. Schräg gestellte Linien im Wechsel von dick getragen und zart angedeutet, das wilde Durcheinander erklärt sich geheimnisvoll zur vom Wind entstellten Baumreihe. In beeindruckender Vielfalt seiner künstlerischen Ausdrucksform wird die Seele der von Gott geschaffenen und von Bauernhand im Rhythmus der Jahreszeiten immer wieder im neuen Kleid bestellten Landschaft dem begeisternd staunenden Publikum auf Ausstellungen präsentiert oder bescheiden im Atelier stumm oder mit wenigen begleitenden Worten gezeigt. Rudi Weiß beschreibt das Weinviertel in treffender Weise:
„Nichts Besonderes auf den ersten Blick, Hügel, Felder, Weingärten. Immer dasselbe, soweit das Auge reicht. Nichts als Landschaft weit und breit, von Sehenswürdigkeiten keine Spur; hier bietet sich nichts an, hier findet sich nichts, hier hat niemand was zu suchen. Eine gottverlassene Gegend (…)“
Dabei hat es allein diese Oberfläche schon in sich. Und es kann leicht passieren, dass der ein zweites Mal kommt und vor dem Unscheinbaren nicht mehr die Augen verschließt, in ganz eigenartiger Weise ergriffen wird. Es ist die Liebe auf den zweiten Blick …

Der Lehrer und Kunstvermittler Günther Esterer

Besonders wichtig für eine Region, die sich auch über Kulturaktivitäten definieren möchte, ist ein eigenständiges Kulturschaffen. Dazu ist es erforderlich, dass von den politisch Verantwortlichen ein Klima der Toleranz, der Akzeptanz und vor allem Möglichkeiten der Präsentation des Kunstschaffens ermöglicht werden. Es geht um die Ausgewogenheit zwischen Hochkultur und eigenständigem Kulturschaffen in einer Region. In Mistelbach ist dies, besonders durch die Arbeit des Kunstvermittlers und Lehrers Günther Esterer bestens gelungen.
Seine Lehrtätigkeit in der Volkshochschule führte zu einer großen Zahl heimischer Künstler, die alle ihren eigenständigen Stil fanden und das Kulturleben in Mistelbach sehr bereichern. Es seien hier stellvertretend erwähnt: Helga Marian, Franziska Erntl, Else-Marie Schwarz, Edda Swatschina u.a.
Als langjährig verantwortlicher Lehrer der Malakademie Mistelbach schafft er es immer wieder, junge Menschen für die Kunstausübung zu gewinnen und ihr kreatives Potential zu fördern. Die regelmäßigen Ausstellungen in den Räumen der Malakademie sind ein beeindruckender Beweis seiner erfolgreichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.
Das Saatbeet für kreatives Schaffen ist bereitet, wir haben in Mistelbach, auch durch die Arbeit Esterers, eine Harmonie aus Hochkultur und eigenständigem Kulturschaffen.

Günther Esterer als Gestalter und Begleiter von Weinviertler Kulturinitiativen

Im Zuge der Errichtung des MZM ist es uns gelungen, Räumlichkeiten wie Malakademie, Druckwerkstätte und Atelierräume für aktive Kulturarbeit zu errichten. Günther Esterer hat dieses Bauprojekt von Beginn an begleitet und maßgeblich gestaltet. Die Räumlichkeiten, insbesondere die Druckwerkstätte, werden auch von ihm verwaltet. Als Vorstandsmitglied des Kunstvereines gestaltet Günther Esterer Ausstellungen im Barockschlößl und wo auch immer Interesse an Kultur aus der Region bekundet wird.
Er ist immer da, wenn wichtige Kulturarbeit gefragt ist: Plakate für die Puppentheatertage, Gestaltung von Symbolen zu Fronleichnamsprozessionen, ein Buch über die Stadtgemeinde, Kunstauktionen, grafische Auftragsarbeiten und vieles mehr.
Schon vor mehr als 30 Jahren bat ich Günther Esterer eine Grafik als besonderen Preis für einen Landjugendwettbewerb zu schaffen. Er machte es mir nicht leicht, denn eine sehr abstrakte Weinviertler Winterlandschaft entstand. Bei der Verleihung an die sechs jungen Gewinner war ihnen doch etwas die Überraschung ins Gesicht geschrieben. Ich weiß aber von einigen der damaligen Sieger, dass diese Bilder noch heute an ausgewählten Plätzen hängen. Ich selbst verehre diese Arbeit, diese Weinviertler Winterlandschaft nach wie vor sehr, da passt treffend ein Zitat des großen Philosophen Martin Heidegger zu dieser persönlichen Erinnerung:
Aber, so möchten wir schließlich entgegnen, muss denn das Werk nicht seinerseits, und zwar vor seinem Geschaffen werden und für dieses in einen Bezug zu den Dingen der Erde, zur Natur gebracht sein, wenn anders es das Dinghafte triftig ins Offene rücken soll.“ Martin Heidegger
Man steht in der Weinviertler Landschaft und wird immer wieder an ein Bild von Günther Esterer erinnert, und die Gedanken gleiten zu Martin Heideggers großartigem Werk „Der Feldweg.“ Im Einfachen findet sich das wahre Große, das Geheimnis des ewig neu Geborenen. Günther Esterer ist ein erdiger, ein geerdeter Künstler, er lebt im Einklang mit seiner Mitwelt und er versteht diese Harmonie von Natur und Kunst, uns in immer neuen Formen und Farben zu künden.
So erscheint es uns heute geradezu natürlich, wenn von der Erhaltung einer Landschaft gesprochen wird, ebenso wie man von der Erhaltung eines Kunstwerkes spricht, was in einer anderen Zeit unvorstellbar gewesen wäre (…) Die Kunst ist Natur geworden und die Natur Kunst.“ Georgio Agamben
Denn, dass ein Werk den Meister lobe, heißt: Das Werk erst lässt den Künstler als einen Meister der Kunst hervorgehen. In diesem Sinne ehren die vielen großartigen Werke einen großen Künstler des Weinviertels.

ING. CHRISTIAN RESCH